Samstag, 23. Mai 2015

Zurück in die Zivilisation, 38. Tag



Vogelgezwitscher, Froschgetön´ und tief ein hohles Windgestöhn´,
das kommt mir beim Aufstehen am 23.5.in den Sinn – eine Gedichtzeile (vielleicht nicht ganz korrekt), als ich an meinem Waldliegeplatz morgens aus dem Schiebluk gucke.

Schleuse macht sich bereit - so mag ich das.
Etwas windig heute, hoffentlich macht sich das nicht negativ in den Schleusen bemerkbar, zunächst (oben), sind wir ja dem Wind noch ausgesetzt.
Ich will heute nach Corre, das sind „nur“ 13 Schleusen und 23 Kilometer – ein Klaks.

Am Nachmittag werde ich da sein, bisschen erholen - und in Gedanken bei der Familie und Schwiegermutter Marianne sein, die heute Geburtstag hat - ja, die Welt soll es wissen, deshalb auch von hier “Herzlichen Glückwunsch“.



Solche und Ähnliche sind hier viel unterwegs...


Gleich bei der ersten Schleuse kommt mir ein Urlauberboot (gechartert) entgegen, ungewöhnlich, wo ich doch die letzten Tage pro Tag kaum ein Boot getroffen habe.
... oder Solche, noch mehr Platz.

Aber Corre ist ein Stützpunkt für viele Urlauberboote und auch Eignerboote (auch die netten Franzosen in Girancourt kamen daher), deshalb wird es jetzt wohl voller.





Und das bewahrheitet sich. Ich fahre den ganzen Tag (ab Schleuse Fontenoy Le Chateau) mit einem Motorboot im Konvoi, er immer hinter mir.
Welche Nationalität konnte ich nicht sehen, weil hinter mir, Kommunikation war auch Fehlanzeige, außer einem Nicken, wenn man zum Schleusen bereit war.
War wohl bisschen Stress an Bord, Ehepaar mit Tochter und deren Freund, der Freund musste immer die Leinen bedienen und die Arbeit machen – das passte ihm wohl nicht so ganz – Mademoiselle und Madame in der Sonne und Monsieur am Steuer.
 
Einbahnstraße - geregelt durch Ampeln

Sieht schon méditeran aus - oder?

Immer noch bergig, die Vogensen.



Licht, Sonne, van Gogh hätte hier auch malen können.

Ich merke heute doch, dass die beiden vergangenen Tage recht anstrengend waren – besonders meine Hände brauchen mal wieder Ruhe und Pflege, an den Leinen muss man manchmal ganz schön ziehen – da muss die Pflegecreme für Regeneration sorgen.





Besonders die Böen, die heute immer mal wieder kommen, machen jeden Anleger in der Schleuse zu einem Unikat – man weiß nicht ob sie kommen und woher auch nicht.
Das liegt natürlich an den Windungen des Kanals und der zerklüfteten Landschaft, jedenfalls ist es anders als an der Ostsee, wo man schon lange vorher überlegen kann, welche Windrichtung am Anleger sein wird.




Der "goldene Tiger" aus London, supergepflegt
und superschick



Tigre d'or und mein "Verfolger".



Aber es ging alles glatt, vor uns auch ein
Konvoi, einige Entgegenkommer – über die ich mich immer freue, weil dann die Schleuse schon oben ist.








Nach der letzten Schleuse, rechts ab in den netten Yachthafen von Corre, der erste in der Saone.
Die Saone ist laut einigen Reiseführern „der Fluss der Flüsse“ in Frankreich, ein Urlaubsgebiet mit vielen ahnungslosen Bootsfahrern, aber soll auch sehr schön sein.








Ich werde Strömung haben, die mich schiebt – und nicht mehr so viele Schleusen, meine Tagesstrecken werden also etwas größer ausfallen – wir werden sehen.
 
Oder doch "wrong turn"?


Der Yachthafen ist – im Vergleich zu Ostseehäfen - nicht groß, aber nett, sauber, hat sehr gepflegte Duschen, Waschmaschine und Trockner (vor denen aber immer eine Französin sitzt und ihre Wäsche beobachtet), Strom, Wasser (mit Schlauch) und Internet, alles zusammen für 14 €.

Nein, es gibt auch hübsche Schleusenhäuschen,
wie das von Corre.

Yachthafen und Capitainerie.

Blick zur anderen Seite, Allegro auf 1,60 Metern Tiefe.


Ich fühle mich also so wie jemand, der in die Zivilisation zurückkehrt.
Nach der (fälligen) Dusche, steht ein kleiner Stadtausflug auf dem Programm (Land und Leute), außerdem gibt es einen „coiffeur“, da will ich mal hin (Andrea meinte nach einem Foto im Blog, ich wäre „fällig“, und ich will artig sein und gehorchen).






Mit den besten Absichten ziehe ich los, muss aber feststellen, dass Corre nicht gerade eine Metropole ist. Fast alles zu, bisschen verfallen, viele Gebäude zu verkaufen – wir sind in einer strukturschwachen Gegend – wie ich schon auf der Fahrt hierher gesehen habe.

Also werde ich später zum Friseur gehen, vielleicht in Barcelona, da soll es gute geben, wie man an dem Fußballer Neymar sieht – das wäre doch mal was.
Ansichten aus Corre, das war mal ein Boot.

Ab morgen nur noch Flüsse, "nur" noch 2, die Saone und die Rhone - mit den Kanälen ist es erstmal vorbei - auch wenn beide Flüsse ziemlich "gebändigt" sind.

Die Kanäle waren schön, würde ich jederzeit wieder machen - und so komisch es klingen mag, ich freue mich auf die Rückfahrt, weil ich ungefähr weiß, was auf mich zukommt - und das was dann (wieder) kommt, ist gut.

Und zum Schluß für heute, weil's so schön ist, noch etwas Statistik:

Unterwegs:                38 Tage (brutto, davon 5 - 7 Tage Pause).
Motorstunden:           235
Dieselverbrauch:       190 Liter
Seemeilen:                 892 sm, wahrscheinlich ein paar mehr, weil das GPS immer mal ausfällt.
Geldausgabe:             1050.--,
davon für Diesel:       247.--, gerechnet mit einem durchschnittlichen Dieselpreis von 1,30 €

Zitterpartie, Rekorde und doch noch Wildnis, 37. Tag



Heute (23.5.) muss ich erst mal von gestern berichten, denn gestern (22.5.) konnte ich nicht schreiben, weil mein Akku (der des Notebooks) leer war und ich keinen Landstrom hatte und Internet schon gar nicht.
Wie kommt das? Wo doch bisher meistens wenigstens Landstrom zur Verfügung stand?

Es ist die Strecke durch die Vogesen, auf dem Canal de Vosges, die die Probleme macht.
Girancourt, schöner, stromloser, duschloser Anleger.


Gestern habe ich Girancourt erreicht, eine hübsche Anlegestelle, aber ohne Strom.
Das Bloggen am Abend hat meinen Akku leergesaugt, also hoffte ich, dass ich einen Hafen mit „electricité“ erreiche, um meine ganzen technischen Spielgeräte zu laden und das Notebook wieder in Betrieb zu nehmen.





Grün - so soll es sein!
Das nächste Hafen mit Dusche und mit Strom: Fontenoy Le Chateau, toller Name – ein Nachteil, es sind zwar „nur“ 29 Kilometer bis dahin, aber auf dem Weg liegen 34 Schleusen. Allerdings alle bergab, was ein Vorteil sein könnte.

Wenn ich das bis 18:00Uhr schaffe, wäre ein neuer Schleusenrekord aufgestellt, dazu muss aber alles klappen, wie auch der Mann vom VNF sagte „c’est possibel, sans arrèt“ (für Französisch-Experten, ich weiß nicht, wo auf meiner Tastatur der Accent Circonflexe ist, deshalb nehme ich nur die beiden anderen).


 Also los, die erste Schleuse war leider schon mal überpünktlich und machte genau um 9:00 Uhr auf, hatte gehofft, 8:45 Uhr, aber das war gestern.

Zeit für Rechenspiele ...
  

Die nächsten Schleusen gingen ganz gut, ohne Kletterei, weil es ja bergab ging, allerdings mit dem Nachteil, dass das Wasser immer noch unten war, also da, wo ich hinwollte. Die Schleuse musste also erst gefüllt werden, um dann mit mir darin wieder abgelassen zu werden.
 ... in der Wildnis





In der Wartezeit (gestoppt 5 Minuten pro Schleusenvorbereitung) stellte ich allerhand Kalkulationen an, ob es wohl zu schaffen ist. Wenn ich z.B. nicht auf das Schleusenauffüllen warten müsste, käme ein Zeitgewinn von 5 Minuten pro Schleuse heraus, das wären bei 34 Schleusen- jaaa, weit über 3 Stunden – dann ist es zu schaffen.
War aber nicht so, nur 2 Mal, weil mir ein Boot entgegenkam, und dann auch noch die Schleuse 13 (ich bin nicht abergläubisch). Ich ´rein,  blaue Stange hoch drücken – Nix – nochmal drücken- wieder Nix.

Also „bonjour, icy écluse treize, l écluse est en panne, la porte ne ferme pas”. “Ein Mann kommt”.
Woher die Mademoiselle am anderen Ende des Telefons wohl wusste, dass ich Deutscher bin?
Ich antwortete natürlich „Merci bien,  Madame!“
"en panne!"

Die schnelleAllegro- ausgebremst.

Nebenbei bemerkt, ich hatte übrigens einen ganz schlechten Französisch-Lehrer – leide heute noch darunter.

Es dauerte dann eine ¾ -Stunde, bis ein VNF-Auto mit quietschenden Reifen anhielt, „der Mann“ heraussprang, im Schleusen-Häuschen auf einen Knopf drückte und „ca marche“.
Er versprach mir dann, die nächste Schleuse schon hochzuholen, damit ich schneller weiter komme – machte er auch, aber das war die Einzige.
Auf meine Frage, ob ich den Hafen mit dem schönen Namen und dem Strom erreichen könnte, sagte er „c’est impossible“und dann auf Deutsch „unmööögliiisch“ und empfahl mir einen Anleger 5 Schleusen vorher.
Im Handbuch checkte ich, dass dieser Anleger auch keinen Strom hat – jetzt war mein Ehrgeiz geweckt – und ich vertrieb mir zwischen den Schleusen die knappe Zeit (nur ein paar hundert Meter) mit Vor- und Rückwärts Rechnungen: Wenn oben dann, wenn unten dann, wenn Entgegenkommer dann, wenn „en panne“ dann – kurz und gut, eine Zitterpartie, aber irgendwie abwechslungsreich.

Denn für die Landschaft hatte ich heute kaum Zeit, weil dauernd Schleusen kamen und ich aufpassen musste, dass ich den Meldepunkt für die Fernsteuerung nicht verpasste (manchmal sind die Dinger ganz schön versteckt).
Hinter der Kurve - nächste Schleuse.
 
Fabrikruine und Drehbrücke-auch noch!
Manche werden sich fragen, warum die Hetzte - Land und Leute kennenlernen, das ist es.
Ja, eigentlich schon, aber „Land“ zieht den ganzen Tag an mir vorbei, „Leute“ sitzen am Ufer und angeln und an den Haltepunkten ist meistens überhaupt nichts los – so dass da nicht viel kennenzulernen ist.
Halt doch, die Leute auf dem Fahrrad, die lerne ich kennen, an fast jeder Schleuse stehen welche, gucken zu und fragen ein bisschen, was ich da so mache.


Ein nettes deutsches Ehepaar überholt mich heute schon wieder, gestern auch, wir kennen uns inzwischen.
Überhaupt ist das hier für Fahrradfahrer eine prima Urlaubsgegend, am Kanal läuft ein,soweit ich sehen konnte, guter, glatt asphaltierter Weg entlang (früher Treidelpfad), auf dem sich super radeln lässt – das nutzen auch viele, Touristen und Franzosen, die Franzosen erkennt man an den tollen Rennrädern und an den Tour-de-France-Trikots.



Radwege über Radwege am Canal des Vosges
 
Urlaubsidee: mit dem Wohnmobil hierher (gibt jede Menge Stellplätze), einer fährt mit dem Mobil vor (ich) die anderen kommen per Radl zum Treffpunkt. Man kommt voran, jeden Tag was Neues.









Zwischen den Schleusen und neben den Kalkulationsspielen frage ich mich manchmal, wie sich mein Leben verändert hat.
Vor genau 2 Jahren noch im Schuldienst, die Tage gefüllt mit Unterricht, Konferenzen, Planungen, dem Umsetzen von mehr oder weniger sinnvollen Ideen aus dem Ministerium, Klassenarbeiten korrigieren, Prüfungen vorbereiten und durchführen, Kollegen einsetzen … Lehrerleben eben.

Heute sitze ich auf meinem Boot, die Pinne in der Hand, mache mir an schmierigen Leitern in Schleusen die Hände schmutzig, kleckere mit Diesel beim Nachtanken, repariere hier und da Kleinigkeiten, und gucke einfach so in die Gegend und bin gespannt auch jeden neuen Tag und genieße meine Freiheit.

Was ist besser?
Kann ich gar nicht sagen, beides hat seine Zeit.
Der Beruf hat mir viel Freude gemacht, ich war gerne in der Schule (meistens, aber nur als Lehrer, nicht als Schüler), aber was ich jetzt mache finde ich auch toll – einfach so.
Warum ich im Beruf trotzdem schon mit 61 aufgehört habe, erzähle ich später mal.

Zurück zum Schleusenrennen.
Um 16:45 Uhr passiere ich den empfohlenen Anleger ohne Strom, gucke kurz- ganz nett- aber nichts Besonderes.
Ich riskier’s, fahre weiter, denn keinen Strom habe ich auch irgendwo in der Wildnis zwischen den Schleusen, falls ich es nicht schaffe bis 18:00 Uhr an der letzen, der 34sten Schleuse zu sein – noch 6 Schleusen, Sekt oder Selter.
Ein Schleuse 15 Minuten, das wird knapp, dann nur 7 Minuten (war oben), dann wieder 15 …

 
Das sind mal ein paar amtliche Festmacher!


Um 18:10 Uhr stehe ich vor der letzten Schleuse, die Fernbedienung hatte noch ein Blitzlicht hervorgerufen (gut!), die Schleuse aber war nicht gut zu mir, rotes Licht, Feierabend, écluse fermé.
Wildromantisch - "no wrong turn".

Blick nach oben ...



100 Meter vor der Schleuse, mitten im Wald, eine hölzerne Spundwand, zum Glück auch gerade noch tief genug – das wird mein Übernachtungsplatz – einer der bisher Schönsten.
Blick nach vorne - fermé.

Blick nach hinten - 33 Schleusen im Kielwasser.



33 Schleusen sind auch nicht schlecht, 33 mal Anlegen (längsseits)und Ablegen, das schaffe ich sonst nicht in einem Segelurlaub an der Ostsee – zufrieden genieße ich die Ruhe im Wald, in der Wildnis, die ich doch noch gefunden habe und verbringe den Abend ohne Strom und ohne Internet – das geht auch.