Dienstag, 18. August 2015

Einsam, kalt und nass, 126. Tag



Bevor jemand auf die Idee kommt, sich angesichts der heutigen (18.8.) Überschrift Sorgen um mich zu machen – ist nicht nötig, das Motto heißt immer noch: WS-Sg (Wetter Sch… - Stimmung gut).
 
Zweites Frühstück schmeckt auch im Regen
Aber zum Regen, der eine halbe Stunde nach dem Auslaufen, also gegen 7:00 Uhr anfängt, kommt heute die Kälte, es sind etwa 16 – 17 Grad, für mich sonnenverwöhnten Dauerurlauber eindeutig ungewohnt und deshalb kommen auch die dicken HH-Fausthandschuhe wieder ans Tageslicht.

Ich will mich ja schließlich nicht noch in der letzten Woche erkälten.





Das bringt mich aber auf ein Thema, das ich immer schon mal ansprechen wollte:
Wie steht es eigentlich mit der Gesundheit auf so einer Reise? Alles gut? Oder Wehwehchen?
 
Für diese 2 Seiten brauche ich 5 Stunden


Also, ich kann nur sagen, ich fühle mich pudelwohl – besser als bei der Abreise.
Ich habe abgenommen, was mir Andrea auf Mallorca und auch die Marquardsens an der Mosel bestätigt haben, ohne dass ich gefragt hätte – man sieht es einfach – vielleicht so 8 Kilogramm?
Eine Wage habe ich nicht mit – aber ich fühle mich wohl dabei.
Wie kommt das? 7



Anker für den Notfall - zum Glück nie gebraucht

Informationszentrale

Nun, ich habe die Ernährung umgestellt – ich koche selbst.
Alles, was ich mir so zurecht bruzzele, schmeckt mir – und ich esse nur das, worauf ich Appetit habe.
Ich habe jede Menge Reis und Nudeln mit, bisher unangetastet in Vorratsschrank – einfach keine Lust darauf – stattdessen Kartoffeln, Müsli und ab und zu etwas Brot.
Also kohlehydrat-arm – oder nicht?
Ich bin kein Experte in Ernährungsfragen.



Weite Strecken einsam - nein, alleine mit mir.


Im heißen Mittelmeerraum hatte ich sowieso nicht so viel Appetit, wenn dann auf Salat mit „Pollo“, meditérane Küche, gesund und lecker.
Immer wenn ich koche, kommt Olivenöl dazu, soll auch gesund sein – und schmeckt.

Die "Designer-Enten" gibt´s nur hier

Trotz Mistwetter - schön

Und ich bin seit fast 5 Monaten an der frischen Luft – das zehrt - , tagsüber oft unterwegs, da futtert man auch nicht so viel – und – was mich wundert – auf Schokolade und anderen Naschkram habe ich überhaupt keine Lust – im Supermarkt gehe ich locker an den früher so verführerischen Regalen vorbei.

Das also zum Gewichtsverlust – alles positiv, nicht ausgezehrt und abgemagert.




 Die Bewegungen auf einem Boot sind ganz anders, als in der Wohnung, ich habe das immer schon im Frühjahr gemerkt, wenn ich die ersten paar Tage auf dem Boot war – und anschließend Muskelkater hatte.
Diese Art von Gymnastik betreibe ich nun schon Monate – und das zeigt Wirkung.
Bekanntlich liegt der Mast an Deck und ich muss oft, wenn ich zum Beispiel die Fender vor einer Schleuse auf die andere Seite hängen muss, darunter hindurch.
Zu Beginn der Reise fiel mir das etwas schwerer – „ooochhh, dieses Bücken“ – inzwischen tauche ich unter dem Mast hindurch, wie ein 17-jähriger Limbotäntzer – meine ich – jedenfalls bemerke ich eine deutliche Veränderung in der Beweglichkeit – vielleicht auch durch das Abnehmen unterstützt.

Vor Verletzungen hüte ich mich, so gut es geht – und bisher ist
Raindrops keep falling on my head ...
es gelungen.

Ich bin sehr vorsichtig, um mir nicht den Knöchel zu verknacksen oder das Knie zu verdrehen – das wäre alleine an Bord ganz schlecht.
Zu Beginn hatte ich Probleme mit dem Rücken, was aber wohl daran lag, dass ich am liebsten auf der Steuerbordseite sitze und so den Rücken etwas einseitig belaste – vorbei und vergessen.
Die Hände konnten zu Beginn die veränderten Anforderungen (nasse Seile, oft kräftig zupacken, ständig an der Luft) nicht so gut vertragen – mit Handcreme wurde das Problem gelöst – inzwischen brauche ich keine Creme mehr.


Zum Schluss noch, das was am Ende ´rauskommt.
Nach der Verdauung kann ich die Uhr stellen. Ist es die Nahrung, die Luft, das Olivenöl – keine Ahnung, jedenfalls ist es alles zusammen gut.

Ich werde versuchen, die positiven Erkenntnisse ins „normale“ Leben mitzunehmen – nur das mit der frischen Luft – Tag und Nacht – das wird schwierig – im Garten will ich ja auch nicht pennen.
Aber eine Umstellung wird es werden, denn die Stunden in geschlossenen Räumen kann ich an einer Hand abzählen.

In den Stunden (insgesamt 8), die ich heute im Regen unterwegs war, denkt man an alles Mögliche. 
Zu gucken ist ja nicht so viel, der Deister, die Porta Westfalica, die Landschaft – alles liegt im Nebel oder hinter Regenschleiern – da lenkt Nichts ab.
Ich frage mich, was wohl aus den Leuten geworden ist, die ich unterwegs getroffen habe.
Der Kieler, der am Rhein in Mondorf mit seinem Boot lag, das er billig irgendwo an der Mosel gekauft hatte, das ziemlich heruntergekommen aussah und nun mit Motorproblemen nicht  mehr aus dem kleinen Hafen am Rhein herauskam.
Ob er es geschafft hat, weiterzukommen?

Oder das finnische Paar in Gruissan am Golf de Lion, unterwegs seit mehr als einem Jahr, mit dem Ziel Kap Horn und dann weiter, mit einem alten Boot und sie im vierten oder fünften (geschätzt) Monat schwanger.
Ob sie noch unterwegs sind?

Oder der nette Holländer auf seinem großen, edlen Motorboot in Toul, der den ganzen Tag sein Ipad bearbeitet hat, offensichtlich nicht weiter wollte und mir mit einem Gardena-Wasserschlauchadapter ausgeholfen hat.
Was er wohl jetzt macht?

Mein kleiner Mikrokosmos, mein Boot, in dem ich in der Kajüte alles (Karten, PC, Kaffee …) im Umkreis von knapp 2 Metern im Zugriff habe, fährt also durch den Regen – es hat irgendwie etwas Meditatives.
Mir kommen längst verschüttete Erinnerungen wieder hoch, als ich die ersten und typischen niedersächsischen Kali-Abraumhalden sehe.
In der Nähe meines Geburtsortes – genauer gesagt in der Nähe von Empelde, einem Dorf am Rand von Hannover – gehörten diese „Berge“ zum täglichen Anblick und ich war als kleiner Junge immer fasziniert von der jeweils mit dem Wetter wechselnden Farbe der „Berge“.
Dabei kommt mir Opa Paul ins Gedächtnis, der als begeisterter Jäger erzählte, wie er einen Hasen verfolgte.
 „Zu Fuß, Opa?“
„Natürlich er rannte vor mir weg, ich hinterher.“
„Hast du ihn gekriegt, Opa?“
„Der war schlau, er ist die Abraumhalde hochgerannt …“
„Und du?“
„Ich auch, aber nach der Hälfte merkte ich, wie das Salz meine Stiefel auflöste, da bin ich schnell wieder ´runter, gerade noch rechtzeitig, unten war ich barfuß.“
„Und der Hase, Opa?“
„Na der war weg.“
„Aber Opa, tat dem Hasen denn das Salz an den Füßen nicht weh, Opa?“
„Ähh, komm, lass uns spazieren gehen, Tell will ´raus, er wedelt schon die ganze Zeit mit dem Stummelschwanz.“

Tell war der hervorragend ausgebildete Jagdhund meines Opas (Deutscher Kurzhaar) – und immer gut, unangenehmen Frage aus dem Wege zu gehen.

Vielleicht war mein Opa aber auch so ein geschickter Pädagoge, dass er mich nur davon abbringen wollte, die gefährlichen Kaliberge als Spielplatz zu benutzen – ich habe es jedenfalls nie versucht, Bergsteiger zu spielen.
Außer Geschichtenerzähler war Opa Wünschelrutengänger und Rennpferdespezialist – aber das sind andere Geschichten.

Die Sache mit der Hasenjagd hatte aber auch einen wahren Kern, denn meine Mutter musste als „Hausfrau“ der Großfamilie (meine Vater war als entlassener Kriegsgefangener bei der ganzen Familie meiner Mutter untergeschlüpft – daraus wurden mehr als 20 Jahre in Hannover) immer wieder Hasenbraten auf den Tisch bringen, den wir dann ganz vorsichtig kauen mussten, um nicht auf eines der vielen Schrotkörner zu beißen, mit denen die Hasen gespickt waren – anscheinend Volltreffer.
Mein Vater schrieb indessen Geschichten über das kleine Gerdchen (mich) für die Hannoversche Allgemein Zeitung und begann seine Karriere beim NDR, damals noch NWDR.
Erinnerungen an eine Zeit mit Glück und wenig Geld – das Glück blieb.

Und noch eine vergessene Geschichte.
Mir fällt Fräulein K. ein, meine Deutschlehrerin in der Grundschule - damals sagte man noch Volksschule – die Wert auf die Anrede „Fräulein“ legte, damals die Bezeichnung für unverheiratete, auch ältere Damen.

Fräulein K. hatte uns die Hausaufgabe aufgegeben, „Maus, Katze, Pferd und Igel“ in Schönschrift – in alt-deutsch, das wir noch lernen mussten – 40 Mal ins linierte Schönschreibheft zu schreiben.
Ich hatte andere Pläne und habe die erste Zeile geschrieben und dann 39 Zeilen mit Gänsefüßchen gefüllt.
Ich hatte wohl schon immer eine Leidenschaft dafür, das ökonomische Prinzip in der Praxis zu verwirklichen.
Fräulein K. war „not amused“, es folgten eine Strafarbeit und ein ernstes Lehrerinnen-Gespräch mit meinen Eltern.
Das Ziel kündigt sich an
Die schienen allerding durchaus „amused“ über ihren Sprössling zu sein…

An solche Geschichten erinnert man sich sonst nicht – im Alltag mit seine Ablenkungen – das passiert nur hier, auf der Fahrt durch die weite, flache und neblige und durch keine Untiefen, Schleusen oder Sonstiges ablenkende Landschaft – und auch deshalb hat die Reise etwas Besonderes – man findet zu sich selbst und kramt erstaunt in den alten Erinnerungen.





Der Nordhafen - hier ist die Industrie zuhause
Gegen 14:00 Uhr tauchen die ersten hannoverschen Stadtteile und der Nordhafen auf – merkwürdig, da ich gerade vom Erinnern gesprochen habe – an diesen Teil der Strecke habe ich überhaupt keine Erinnerung – alles scheint mir neu.

Wahrscheinlich war es im April zu kalt für diesen Teil des Gehirns, es war noch Eis an Deck, als ich morgens losgefahren bin – mit dem Ziel des warmen Südens vor dem geistigen Auge.


Und da ist er - der Yachthafen von Hannover



Im Hafen ist dann viel zu tun, Einkaufen, Tanken, Geldautomat besuchen – Kreditkarten sind in deutschen Häfen nämlich eher unüblich –im europäischen Ausland dagegen das Normale – Vorbereitungen für die Weiterreise an die Ostsee.


„Like“ Hannover, auch den kleinen Yachthafen – mit seiner guten Internetanbindung.
Und das Motto WS-Sg bleibt bestehen.