Samstag, 1. August 2015

Happy, happy ,happy, 109. Tag

 
Die Nacht zum 1.8.15 (heute) habe ich nicht gut geschlafen, weil ich immer wieder alle Möglichkeiten hin und her gewälzt habe (und mich dabei auch), was ich denn nun machen soll.

Irgendwann zwischen 2 und 3 Uhr habe ich mich dann entschieden: ich werde den anderen Kanal fahren, also wieder 2-3 Tagesreisen nach Süden und dann Richtung Paris, aber vor der Hauptstadt rechts ab, um dann auch nach Toul zu kommen.


Man sieht an den Kanalrändern, wieviel Wasser fehlt.

Soweit der Stand beim Aufstehen. Glücklich war ich mit der Entscheidung nicht, denn sie bedeutet etwa 400 km Umweg und 150 Schleusen zusätzlich, dazu ein Hebewerk und einige Tunnel, einer sogar mit Treidelpflicht (man darf also nicht selbst motoren).
Außerdem ist er auch nur bis 1,80 Metern befahrbar – was, wenn dort auch Wassermangel herrscht?
... und auf der anderen Seite dasselbe Bild - erstaunlich

Trotzdem bezaubernd und romatisch - aber mit Muffensausen

Dazu schwimmen überall diese Grasinseln herum


Mit diesen bangen Gedanken am Frühstückstisch (etwas später als sonst, denn wozu beeilen?), beschloss ich gegen 9:00 Uhr in der VNF Zentrale anzurufen und zu fragen, ob die Wassertiefe des Champagne-Boulogne Canals (das wäre der Umweg) garantiert ist.





Mit dem Handy in der Hand und dem letzten Löffel Müsli missmutig im Mund, rief ich aber zuerst noch einmal die Zentrale für den Canal de Vosges an, um bestätigt zu bekommen, dass er immer noch zu flach ist.

Ich traute meine Ohren kaum, als ich den schnell französisch sprechenden Mitarbeiter sagen hörte „Une-cinqante, ca va“. „Encore une fois, s‘ il vous-plait“ antwortete ich verdattert, „je peut aller vers Toul avec mon bateau?“


Märchenwald

So schön und doch so aufregend
„Qui, 1,50 is ok“ kam die Antwort (wieso eigentlich auf Englisch?)

Also, alle Pläne blitzschnell über den Haufen geworfen, Alarmstart in den Canal, ehe die VNF es sich wieder anders überlegt.
Im Laufschritt zur Hafenmeisterin, LKW-Anfrage canceln und Hafengeld bezahlen. 






Kurz vor Fontenoy-le-Château, dem ersten Hafen
im Canal, es sollte der Einzige bleiben

Netterweise ruft sie gleich bei der ersten Schleuse (nur 10 Minuten entfernt) an und meldet, dass Allegro freie Fahrt hat – der Schleusenwärter hätte mich nämlich immer noch nicht durchgelassen – aber wenn die Zentrale es erlaubt – alors!

Schnell noch bei Anita und Ralph verabschieden und dann ohne aufzuräumen, duschen und sonstige Routinetätigkeiten, Festmacher los, Motor an und ab die Post.

....sonst ist nicht so viel los, aber okay

Rousseau war schon immer mein Lieblingsphilosoph,ob er
den volonté général hier erfunden hat?
  



In der Schleuse bekomme ich anstandslos meine Fernbedienung für die nächsten etwa 100 Schleusen bis nach Toul, dafür werde ich 3 – 4 Tage brauchen. Morgen kommt etwa jeden Kilometer eine Schleuse, mal sehen, wie weit ich komme, Ziel ist die Scheitelhaltung, also die Vogesen ganz oben.







Die erste Etappe bringe ich ziemlich problemlos hinter mich, etwa 40 Kilometer und 13 Schleusen.
Zwischendurch mal `ne kurze Grundberührung, noch eine und noch eine, aber meistens ist es problemlos tief. Allerdings ist erstaunlich, wie unterschiedlich der Wasserstand zwischen den einzelnen Schleusenabschnitten ist – alles dabei von Hoch über normal, bis reichlich flach.


 



Ich habe wenig Zeit zu fotografieren oder mich umzugucken, weil ich fast immer wie gebannt auf das Echolot starre, 1,70 war die flachste Stelle, bis auf die 3 kurzen Aufsetzer im Schlamm.

Ich bin wieder alleine unterwegs, ein paar Schiffe kommen entgegen, und Schleusenwärter sind (zum Glück) auch nicht in Sicht, denn ich benutze wieder meine „Freelancertechnik“, mit Festmachen an der blauen Stange – das klappt prima und geht schnell, denn die Leitern in den Schleusen sind ziemlich unpraktisch, sehr weit weg von den Stangen und dicht an den Schleusentoren angebracht – also zwei Gründe, sie nicht zu benutzen – weder zum Festmachen noch zum Hochklettern.

Um etwa 15:00 Uhr bin ich in Fontainoy-le-Chateau, einem Örtchen mit Mauer zum Anlegen, aber einer recht großen Charterbasis von “le boat“.
Strom, Diesel und Dusche (dringend!) gibt es ein paar Schritte vom Liegeplatz entfernt, günstig ist es auch noch (alles zusammen 14,00 Euro) und die Leute sind nett.
Der Bäcker mir dem besten Brot der ganzen
Reise - in Fontenoy-le-Château


Im Ort ist ein kleiner Tante-Emma-Laden, (wie sich das anhört gegen Boulangerie-Patisserie), bei dem ich mir etwas Kuchen zur Belohnung für den überstandenen Stress kaufe (lecker).
Sonst ist hier wenig bis gar nichts los – aber Hauptsache ich bin im Canal, und zwar im Richtigen, und das bin ich und ich bin happy.





Stressbekämpfung mit Kalorien aus der Patisserie


Die Ungewissheit und der bevorstehende lange Umweg haben mich doch arg belastet – aber eine Woche in Corre herumzuhängen, ohne die Gewissheit zu haben, dass es dann besser wäre?
Wäre auch blöd gewesen – alles andere als der jetzige Weg wäre blöd gewesen – deshalb bin ich happy, happy, happy.




 
Erinnerungsbecher gegen schlechte Schwingungen

Als Ausdruck meines Glücksgefühls kaufe ich mir gleich noch einen Kaffeebecher mit der Aufschrift „le boat“.
Diese Urlaubsboote haben mich oft genervt unterwegs, aber jetzt könnte ich sie alle umarmen – und diese Erinnerung will ich mit dem Becher konservieren – und mich nicht an den Ärger mit den Freizeitkapitänen erinnern – sondern nur daran, dass sie ja schließlich auch nur Urlaub und Spaß haben wollen – und außerdem nichts (oder wenig…) dafür können, wenn sie nicht geradeaus fahren.



Ich werde bis Toul (und dann ist es überall tief genug) noch 2, eher 3 Tage brauchen, immer den Blick auf dem Echolot, aber mit Spass an der Sache – toitoitoi und immer `ne Handbreit …